25. – 29. Oktober 2021
10h30 – 17h30
Location: Progr Atelier 369, 3. OG, Speichergasse 4, 3011 Bern
29. Oktober 2021
18h00 – 22h00
Location: Bar Lichtspiel, Sandrainstrasse 3, Bern (nähe Dampfzentrale) https://lichtspiel.ch/de/
Universität / Haute École
for student applications
Ausgerenkte Kräfte – Dislocated Forces
(Sprachen: Deutsch/Englisch)
Ausgangspunkt und titelgebend ist das Gemälde von Kurt Schwitters: Ausgerenkte Kräfte (Merz-Bild), 1920.1 Dieses Gemälde – eine Assemblage aus Holz, Metallfeder, Stoff, Papier und Öl auf Karton, zusammengehalten von einem Rahmen aus Dachlatten – steht stellvertretend für den Beginn einer Epoche, die auch die Entstehung der Performancekunst markiert. Über dieses Bild und andere frühe Arbeiten, die kurz nach dem Ersten Weltkrieg entstanden, schrieb Schwitters rückblickend: «Aus Sparsamkeit nahm ich, was ich fand. Denn wir waren ein armes Land. Man kann auch mit Müll schreien, und das habe ich getan, indem ich sie zusammengeklebt und zusammengenagelt habe. Es war sowieso alles kaputt, und es galt, aus den Scherben etwas Neues zu bauen.»
Wir werden auf «Ausgerenkte Kräfte» und Schwitters' Methode zurückgreifen, um eine kritische Kunstpraxis zu entwickeln, die auf zeitgenössische Themen wie Konflikt, Abfall und Prekarität reagiert. Mit Blick auf die wohl prominentesten und einflussreichsten zeitgenössischen Waren, die digitalen Technologien, werden wir untersuchen, wie der «Techno-Konsumismus» mit ökologischen Schäden, gewaltsamen Konflikten und (post-) kolonialer Politik verbunden ist. Alltägliche Geräte (z.B. Mobiltelefone, Computer, Fernseher), die im täglichen Leben meist als selbstverständlich angesehen werden, werden seziert – sowohl metaphorisch als auch buchstäblich – um die Art und Weise aufzudecken, in der ihre Vermarktung, ihr Gebrauch und ihr Verfall in Politik und Ideologie verwickelt sind.
Anhand von praktischen Experimenten und theoretischen Perspektiven von Kulturkritikern und Anthropologen wie Mary Douglas, Frantz Fanon und Richard Schechner werden wir performative Antworten auf persönliche Technologien, neue Gadgets und Elektronikmüll entwickeln.
In Verbindung mit dem Lehr- und Experimentierprogramm des Moduls wird Dani Ploeger eine öffentliche Lecture-Performance in der Kinemathek «Lichtspiel» rund um seinen Sci-Fi-Kurzfilm «The Cults» (2021) präsentieren.
Dani Ploeger untersucht Konflikt- und Krisensituationen am Rande der Welt des Hightech-Konsums. Seine Objekte, Videos und Apps setzen sich mit der Materialität alltäglicher Technologien auseinander und hinterfragen oft das glatte, utopische Marketing rund um die Innovation und ihre Auswirkungen auf lokale und globale Machtverteilungen. Er reiste zu Mülldeponien in Nigeria, um aus Europa stammenden Elektronikschrott einzusammeln, stahl Rasierdraht vom sogenannten «High-Tech-Zaun» an der EU-Außengrenze in Ungarn, dokumentierte elektronische Geräte an der Frontlinie des Donbass-Krieges in der Ukraine und befragte Zeugen von US-Drohnenangriffen in Pakistan zu Gewalt- und Schalltechnologien. https://www.daniploeger.org/
1 Kurt Schwitters: Ausgerenkte Kräfte (Merz-Bild), 1920 Assemblage (Holz, Metallfeder, Stoff, Papier, Collage), Öl auf Karton in vom Künstler kontruiertem Holzkasten, 105.5 x 86.7 x 9 cm (mit Kasten) Kunstmuseum Bern, Sammlung Professor Dr. Max Huggler - Schenkung 1966 Raum
https://www.kunstmuseumbern.ch/de/sehen/sammlung/video-highlights-sammlung/kurt-schwitters_0-203.html
Als Gäste des Moduls «Performance Space – Performance Stage: Ausgerenkte Kräfte» haben sich Artur Klinau und Iryna Herasimovich aus Minsk angemeldet; sie berichten aus dem zerbrechenden Raum Belarus.
Artur Klinau ist Künstler, Autor und Architekt, der seit den 1980er Jahren eine zentrale Rolle in der Kunstszene Belarus spielt, auch ist er Gründer und Herausgeber der einzigen Kunstzeitschrift in Belarus «pARTisan» http://partisanmag.by/. Sein neuestes Buch «Acht Tage Revolution. Ein dokumentarisches Journal aus Minsk» erscheint im Herbst im Suhrkamp Verlag, wo auch schon 2006 «Minsk. Sonnenstadt der Träume» erschienen ist.
Iryna Herasimovich ist Kuratorin, Essayistin und Übersetzerin, und hat u.a. Autoren wie Lukas Bärfuss, Jonas Lüscher und Ilma Rakusa übersetzt.